... Ein No Age - Statement
Als bekennender Ungeduldsmensch hat sich mein Herz
Schottland nicht umsonst als Seelenheimat erwählt. Ich strebe stets nach Entwicklungschancen,
sowohl privat als auch beruflich. So sehe ich als Anfangdreißiger meine große
Aufgabe in dem Finden der inneren Ruhe und Gelassenheit, die so viel weisere
und gut gereifte Persönlichkeiten auszeichnet. Whisky und seine kulturelle Heimat sind für mich ein
wundervolles Beispiel dessen, was ich zu lernen anstrebe. Nämlich der
unumgänglichen Wahrheit, dass manche Dinge einfach Zeit brauchen. Oft habe
ich das Thema mit den sog. "NAS-Whiskys" (No-Age-Statement, ohne Altersangabe) in Artikeln angeschnitten und auf ein anderes Mal verwiesen. Nun ist es an der Zeit, sich diesem schwierigen Thema zu nähern. Ein paar Gedanken von mir zur Debatte um die Whisky-Riege, die sich über ihr Alter ausschweigt.
Noch vor einigen Jahren fuhr Chivas Brothers (aka
Pernod Ricard) eine Campagne namens "Age matters". Hier wurden die Kunden
aufgefordert Wert auf die Altersangabe eines Whiskys zu legen. „Look for the number, a garantee of age... a garantee of quality“.
Das jüngste Paradigma, das einem von der Whiskyindustrie vorgebetet wird, lautet eher „wood matters“. Wiederum eine Campagne von Gordon & MacPhail, einem der renommiertesten
unabhängigen Abfüller Schottlands lautet passend hierzu "the wood makes the whisky". Sicher nicht ohne ein Augenzwinkern in
Richtung Chivas Brothers, die wohl mit ihrer Werbestrategie ihren
Blended Scotch „Chivas Regal 12“ gegenüber Single Malts ohne Altersangabe aufwerten
wollen und hierbei geflissentlich die Tatsache übergehen, dass ihr Blended Scotch einen großen Anteil Grain Whisky enthält. Sicherlich versteht Gordon & MacPhail ihre Campagne nicht als NAS-Whisky Werbung, aber sie legen zumindest den thematischen Schwerpunkt auf das Fass und nicht auf das Alter allein.
Wer hat nun eher recht? Was macht einen guten Whisky aus? Ist das Fass
entscheidender oder das Alter? Sicherlich, eine bewusst plakative Frage, da das Eine nicht ohne das Andere geht. Und wie so oft
im Leben liegt die Wahrheit, aus meiner bescheidenen Sicht, irgendwo
dazwischen.
Was ist
eigentlich ein Whisky mit Altersangabe? Der 12jährige Glenfiddich Single Malt
Scotch Whisky ist ein Malt Whisky (100% aus gemälzter Gerste produziert) aus
Schottland (Scotch) der eine Vielzahl an Fässern enthält, die mindestens 12
Jahre gereift sind. Die Altersangabe bezieht sich immer auf das jüngste Fass in
einer Abfüllung. Standardabfüllungen bestehen aus mehreren verheirateten Fässern,
bleiben aber ein Single Malt, solange sie aus einer Brennerei stammen. Es kann
also durchaus sein, dass ein Malt mit Altersangabe ältere Fässer in sich trägt
als auf dem Etikett angegeben. Je länger das frische Destillat (zu englisch
„Newmake“) im Fass reift, desto mehr nimmt es vom Fasscharakter auf. Ob dies zu einem befriedigenden Ergebnis führt, hängt von Art der Reifung und den entstehenden Aromen ab. Viele Genießer
kennen sicher den Begriff „Aroma Marke Schrankwand“. Nicht grade ein schmeichelhafter
Begriff, der die Problematik von zu viel „Holzeinfluss“ persifliert. Das Alter für sich allein betrachtet bzw. ein zu starker Fasseinfluss sind nicht zwingend
Qualitätsmerkmale. Für mich persönlich besteht ein guter Whisky aus einer
schönen Balance zwischen Brennerei- und Fasscharakter. Viele Whiskys schaffen
dies für mich bei ca. 15 Jahren. Ich konnte bislang nur wenige alte
Whiskys über 25 Jahre probieren, muss aber sagen, dass mich hiervor kaum
einer wirklich überzeugen konnte, insbesondere wenn der Geldbeutel mitfühlt, denn ein alter Whisky ist zwar nicht zwingend ein leckerer, ganz sicher aber ein teurer. Das mag sich über die Jahre noch ändern, entspricht aber derzeit meinem Empfinden.
"To Sammy: Just in case you develop a taste for malt... Some of this is for you. Love always. Dad" |
„Put good spirit in a bad cask... and you will get a bad
whisky, put bad spirit in a good cask and you will get a decent whisky“. Der
Urheber dieser Worte ist mir nicht bekannt, aber sein Echo ist immer wieder in
den Brennereien zu hören. Insbesondere wenn es darum geht den Einfluss des
Fasses auf das Endprodukt zu betonen. 70-80 % der Aromen werden angeblich vom
Fass in den fertigen Malt Whisky abgegeben. Ergo bleiben ca. 20-30 % übrig für
andere Einflussfaktoren auf den Brennereicharakter wie der Mälz- und
Fermentationsprozess und die Brennblasen. Wer sich mit Whisky beschäftigt, dem
wird schnell klar: „the wood matters“, das Holz ist verdammt wichtig, keine
Frage. Doch auch das Holz hat seine Grenzen. Und das aus zweierlei Sicht. Zum
einen müssen Brennereien aus rein ökonomischen Gründen Fässer wiederverwenden
(die sog. „Refills“). Fässer die in Schottland erstmals verwendet werden und vorher beispielsweise Bourbon oder Sherry beherbergten, sog. „First-Fill“ Fässer, geben am schnellsten Aromen
und Farbe ab, während ein zweit-, dritt- oder sogar viertbefülltes Fass
logischerweise weniger „abfärbt“. Neben dem Alter wäre daher die Angabe der "Zusammensetzung" eines Whiskys im Bezug auf die wiederbefüllten Fässer ebenso interessant wie das Alter. Hierzu erhält man aber sehr selten klare Angaben. Einige wenige Abfüllungen werben damit nur Firstfills zu verwenden. Werden keine Angaben gemacht, kann man davon ausgehen, dass hier auch Refills verwendet werden.
Um die Sache etwas komplizierter zu machen reifen die Fässer auch noch alle individuell. Soll heißen zwei Firstfills gleicher Größe und gleicher Herkunft können immer noch gänzlich unterschiedlichen Whisky hervorbringen. Was bedeutet das nun für unsere Altersdebatte?
Um die Sache etwas komplizierter zu machen reifen die Fässer auch noch alle individuell. Soll heißen zwei Firstfills gleicher Größe und gleicher Herkunft können immer noch gänzlich unterschiedlichen Whisky hervorbringen. Was bedeutet das nun für unsere Altersdebatte?
Ein Whisky in einem guten First-Fill Fass kann bereits nach
wenigen Jahren „ausgereift“ sein, also einen hervorragenden Whisky produziert
haben. Ein Ex-Sherry Fass von Glenglassaugh bewies meiner Zunge wieder einmal was ein Fass in nur fünf Jahren leisten kann. Aber nur weil es möglich ist, heißt es eben nicht, dass es
reicht. Denn keine Brennerei kann ausschließlich solch hervorragend gereifte
Fässer für eine Standardabfüllung verwenden, für die eine große Zahl Fässer
nötig ist. Das bedeutet, dass zwangsläufig auch weniger gut gereifte Fässer in
eine Standardabfüllung eingemischt werden und wenn diese ebenfalls nur wenige
Jahre auf dem Buckel haben, dann ist das Gesamtergebnis eben im besten Fall
befriedigend.
Aus meiner Sicht
gibt es zwei unterschiedliche Ansätze die das Unterlassen einer Altersangabe
begründen. Zum Einen der Typ NAS-Whiskys der als kostengünstiger Ersatz zu den klassischen 10-12 Jahre alten Abfüllungen auf den Markt geworfen wird. Bei manchen dieser Vertreter drängt sich mir das Bild der Schönheitschirurgie auf. Es wird gebastelt und geschnibbelt, jüngere Fässer verschnitten als üblich und oft mit Zuckerkulör nachgefärbt, um das Ergebnis zu kaschieren. Auf der anderen Seite stehen NAS-Whiskys die tendenziell eher aus „Kreativitätsgründen“ keine
Altersangabe tragen. Mit Letzterem sind beispielsweise Whiskys gemeint, die aus verschiedenen Fässern mit
unterschiedlichen Altersbereichen (beispielsweise 5, 10 und 20 Jahre alte Fässer) verheiratet sind und damit einen
hervorragendes Cuvée einer Brennerei ergeben. Jede dieser Bereiche hat ihre Vorzüge und ein geschickter Blender weiß diese miteinander zu kombinieren, um etwas zu schaffen, was mit einer Heirat gleichaltriger Fässer nicht machbar gewesen wäre. Da nun aber bei dieser Mischung auf der Flasche per Gesetz "5 Jahre alter Single Malt" stehen müsste und dies der Qualität und Komplexität nicht gerecht würde, verzichtet die Brennerei lieber ganz auf die Angabe. Gute Beispiele hierfür sind für
mich derzeit Abfüllungen wie der Ardbeg Uigeadail oder der Aberlour A’bunadh. Diese
Whiskys glänzen mit Komplexität und Tiefe und obendrein ordentlich Umdrehungen,
was dem Genießer kaum Anlass zum kritischen Blick auf die unterschiedlichen
Anteile gibt. Keine Altersangabe? Scheiß der Hund drauf!
Andere Stimmen vernehmen wir bei der neuen 1824er Range von
Macallan oder dem jüngst eingeführten „Founders Reserve“ von Glenlivet.
Macallan Fans sind sich einig, dass die Brennerei in den letzten Jahren an
Qualität verloren hat und die neuen Abfüllungen, allesamt NAS-Whiskys, die
Reife und Komplexität der älteren Macallans vermissen lassen. Ich für meinen
Teil vermag dies nur bedingt zu beurteilen, da ich wenige der alten Macallans
probieren konnte (zumeist aus finanziellen Gründen). Den Sienna finde ich zwar lecker, aber eben keine „80 €+“-lecker. Das Preis-Leistungsverhältnis bei Macallan scheint den kritischen Stimmen also Recht zu geben.
Und auch Glenlivet läuft aktuell Gefahr Imageeinbußen hinnehmen zu müssen, da
sie ihre 12jährige Standardabfüllung mit einem krassen Bruch durch den Founders
Reserve ersetzt haben, der bislang keine guten Kritiken einfahren konnte. Ein
zaghafter Übergang wäre hier möglicherweise sinnvoller gewesen. Talisker beispielsweise geht hier sensibler vor und hat den NAS-Whisky "Skye" neben dem 10er eingeführt. So kann der Kunde selbst entscheiden und dem Skye eine faire Chance geben. Im Falle von Glenlivet würde ich
also dazu tendieren den „Founders Reserve“ der Kategorie „Günstige Alternative“
zuzuordnen.
Bei einigen Brennereien beobachten wir auch im
Standardbereich von 12 Jahren bereits Preisanstiege. Nachvollziehbar also, dass
die Brennereien versuchen preiswertere Optionen nachzuliefern. Sterben die Whiskys mit Altersangabe nun aus? Nein eher nicht, aber sie werden wohl vermutlich weiterhin teurer
werden, bis ausreichend Fässer nachgereift sind und die große Zahl an neuen Brennereien mit
ihren Produkten den Markt bereichert. Einer Tatsache kann man sich bei aller
Verteidigung der NAS-Whiskys eben nicht entziehen: Eine Altersangabe ist und bleibt eine zusätzliche wertvolle Information über den Inhalt und dessen Reifegrad. Insbesondere wenn der Whisky mit Zuckerkulör
nachgefärbt wurde, bleibt dem Käufer bei NAS-Whiskys kaum ein Anhaltspunkt übrig, der zur
Beurteilung der intrinsischen Qualität hilfreich ist. Als Whisky Geek und Tastingveranstalter bin ich ein großer Freund von Information. Je weniger Information, desto schwieriger die Beurteilung und die Kaufentscheidung.
Zusammenfassend kann ich also kein generelles Urteil über
NAS-Whiskys fällen, dafür ist die Vielfalt an Abfüllungen viel zu groß. NAS-Whiskys lassen sich eben doch nicht wirklich klassifizieren und irgendwie liegt darin ja auch der Reiz. Wie immer bleibt dem Whiskyliebhaber nur der eigenen kritischen Nase zu vertrauen.
Ich hoffe, dass ich meinen Weg hin zu mehr Ruhe und Gelassenheit in der Whisky
Industrie finde und dass sie selbst ihren Pfad mit der Zeit nicht all zu weit verlässt. Das
Gras wächst eben nicht schneller wenn man daran zieht. Und wir, die Kunden,
werden langfristig die Brennereien abstrafen, die uns halbgare Ware vorsetzen. Ein Blick auf die Uhr hat mir grade gezeigt... es ist schon spät! Manche Dinge brauchen eben einfach Zeit...
Slainte!
Euer Leon
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